Was und woraus haben wir nicht schon getrunken: Rüscherln und Baucherln als gäb's kein Morgen, in den späten 70er-Jahren – wo doch so viel Morgen war! – aus schmalzverschmierten Weinbrandschwenkern (und wenn uns sehr viel Gutes widerfuhr, dann einen Asbach Uralt pur!) … in den 80ern, aus formfaden, schmalzverschmierten Gebinden, auf denen ein abgeplatteltes Trachtenpärchen tanzte, ungezählte Doppellutscher: ein Vierterl Glykolwein aufg'spritzt mit nitrathältigem Soda … in der Früh dann oft Wiener Hochquellwasser aus achteckigen, schmalzverschmierten Wassergläsern (tschechoslowakische Ausschussware) … in den 90ern aus beruflichen Gründen sehr viel Kaffee aus grell bedruckten (Papa ist der Beste! Lecker Kapputschino! Je oller, je doller! Matin câlin), schmalzverschmierten Häferln … auf Reisen auch das eine oder andere Fläschchen Tannenzäpfle oder ein schönes Gläschen Rotkäppchensekt … zur Jahrtausendwende – aus Gründen Privat – selbstgebrannten Apfelschnaps (und diverse Destillatsreste) aus Pappbechern, schwarzweiß bedruckt mit Motiven aus dem bewegten Leben der Biene Maja und dem eher unbewegten ihres besten Freundes Willi … und dann kam Schwarz-Blau, ohne Gebinde, Rum aus der Flasche … je nach Verfassungsbogen 28perzentigen, 60perzentigen oder 80perzentigen … dann Gusenbauer, die Gerda und der Wein: erst noch aus dem Super-, später dann vom Bauernmarkt, und – quasi ex habitus – aus der oft schmalzverschmierten Flasche. Weiß. Rot. Schilcher. Rot. Rosé. Weiß. Schilcher. Rot. Weiß. Port – heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort … und dann mein erster Erfolg als Werbetexter: Ei, was schert's mich, was ich tschecher / was zählt ist der Christinebecher! … sechs Stück davon im Pappkarton / warn des Dichters reicher Lohn.
Dann mehr Erfolg und noch mehr Wein / bald wurde mir dies Glas zu klein / Da trat ein Römer in mein Leben / der macht Musik, tu ich ihn heben! / Wie gern lausch ich den Melodein / wie leicht trinkt sich der schwerste Wein / zu Mozart, Walzer, Wienerlied / er spielt fast alles, was ich lieb! / Stets mahnt der Spieluhr sanfter Klang / erheb das Glas und trink mein Sohn / denn trinkst du nicht, verstummt mein Sang / verklingt der Ton! //
Oh! / Nie war's mir Last ein Glas zu heben / nie war's mir lästig, obgar Pflicht / Des Trinkens müde? Nie im Leben! / schrumpft auch die Leber, plagt die Gicht / zu sehr lieb ich den Saft der Reben! / Doch jetzt, gealtert und geeicht / jetzt erst fällt's mir doppelt leicht: / Eine Fahne mich stets stolz umweht / weil's mit Musik viel besser geht!
römer nr. 1
der kaiserbecher
∅ Cuppa: 84mm∅ Fuß: 93mm. Höhe: 163mm.
Materialien: Nordböhmisches Bleiglas
22 Rubine á 0,60 kt., Smaragdfuß
Gold, 22 kt.
Diesen Prachtkelch überreichte der damalige Ministerpräsident und Justizminister Ernest von Koerber Seiner Majestät dem Kaiser Franz Josef dem I. anläßlich der Feierlich- keiten zum 55. Jahrestag Ihrer Thronsetzung am 2. Dec. 1903, begleitet von den schlichten Worten 'Ma'stät, Eure verkommene Kakao- Monarchie hält mich dermaßen auf Trab, daß ich für Euch nur dieses kleine Mitbringsel aus Usti nad Labem hab'. Mehr als ein Jahrzehnt später ließ er sich in einer wohl sehr dunklen Stunde zu noch weit despektierlicheren Worten hinreißen: 'Der Kaiser hat Österreich zweimal unendlich geschadet – einmal durch seine Jugend und einmal durch sein Alter!' Obwohl: Die Wahl der Melodie lässt auf ein ehedem durchaus amikales Verhältnis – in dem auch der Humor seinen Platz hatte – schließen:
hörbeispiel 1: der kaiserbecher
man müsst' noch einmal 20 sein
römer nr. 2
der wanderpokal
∅ Cuppa: 70mm∅ Fuß: 70mm. Höhe: 144mm.
Materialien: Glas, Acryllack
Sterlingsilbersockel
Die Bezeichnung 'Wanderpokal' spielt charmant auf die geringe Größe dieses Römers an. Sicherlich ursprünglich für ausgedehnte Wanderungen durch den Wienerwald produziert, kam dieses handliche und vielseitige Gebinde wohl auch auf schwierigen Bergtouren (Schneeberg, Rax u.Ä.) zum Einsatz.
Die Provenienz ist ungeklärt. Der 'Wanderpokal' befand sich 50 Jahre im Privatbesitz von Frau Hermine Prindl-Tscharemsa und wurde von Ihr am frühen Abend des 9. März 2021 an die Wienerliedtingeltanglkapelle Kollegium Kalksburg anläßlich der Feierlichkeiten des 25jährigen Bestehens derselben überreicht. Bei dieser Gelegenheit wurde die Cuppa nach vielen Jahrzehnten der Trockenheit oftmals wiederbefüllt, vorwiegend mit Weinviertler Kreszenzen aus dem Weingut Wötzl, Winzerstraße 10, 2223 Martinsdorf (unbezahlte Anzeige).
hörbeispiel 2: der wanderpokal
schdöds meine roß in schdoi
römer nr. 3
der gute hirte
∅ Cuppa: 81mm∅ Fuß: 93mm. Höhe: 157mm
Materialien: Glas, Katzengoldvergoldung
Meist oft, wenn ich mit Freund*innen beim Wein sitze und zu vorgerückter Stunde diesen Kelch präsentiere, lautet der einhellig beduseelte Kommentar: Sehr schlicht! Ja, schlicht, erwidere ich dann gelangweilt, aber erhebet Ihn und trinket daraus, und ihr werdet sehen, nein: hörent! verbessere ich mich sogleich (ich hab auch schon quasi ein bisserl was …) was der für ein Stückerl spielt! Dann folgt in der Regel ein langes Gewitzel und Geziere (quasi ein Fegefeuer für kühle, klare Geister), z.B:
Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich um diesen plumpen Fuß legte? oder: Lieber sauf ich aus der Flasche, eh ich aus diesem Rucksack nasche! oder: Schlimmer kann's nicht kommen, es sei denn, Du magst uns noch Dein Nachtgeschirr auftischen, ha, hah! etc. etcah. Bis sich dann endlich irgendwer (ich sicher nicht! bin ich der Messias? Na ja, wenn's sein müsst …) mit angewiderter Miene dazu herablässt – draus zu trinken? Nein! So weit kommt es nie: bezaubert von der Melodie lassen wir den Wein Wein sein und bar jeder Gefallsucht stimmen alle ein: Der alte Sünder, der trinkt und küsst / bleibt ewig zwanzig, wie alt er ist / Es wird oft spät, spät, spät / bevor er geht, geht, geht / Dabei wär's g'sünder, er ging nach Haus / Jedoch in's Bett, Bett, Bett / da geht er net, net, net / der alte Sünder, der kennt sich aus … Ja, da gäb's noch einiges erzählen …ach, der gute Hirte!
hörbeispiel 3: der gute hirte
der alte sünder
römer nr. 4
der tuberkelbecher
∅ Cuppa: 82mm∅ Fuß: 95mm. Höhe: 153mm
Materialien: Norwegisches Staggglas
Goldberyll- und Rhodolithstaub
Verdelith (Fuß), Gold, 20 kt.
Aufgrund der Weinblätter aus Goldberyll- und der Trauben aus Rhodolithstaub hat sich der Tuberkel- becher durchaus das Prädikat EINZIGARTIG in meiner Sammlung von 2397 Römern verdient!
Hergestellt wurde dieser Prachtkelch in den Jahren 19011 und 1912 in (St.) Petersburg, in Auftrag gegeben vom (noch) regierenden Zaren Nikolaus II. als Nikologeschenk für Jekaterina Kirillowna Romanowa, einer Groß- nichte des Alt-Zaren Alexander III. Nun aber begab es sich, dass im selbst für russische Ohren außergewöhnlich strengen, sprich: kalten! Winter 1912/13 Jekaterina an Lungentuberkulose erkrankte und – Ironie des Schicksals – dieser sogenannten Volkskrankheit im Alter von knapp fünf Jahren am 6. Jänner 1913 erlag … das Nikolosackerl hatte Sie nie in Händen gehalten! Nikolaus II. aber hätte sich – so geht die Legende – seit er den Kelch zum erstenmal in Händen hielt, sowieso nie mehr von Ihm trennen mögen: Bis tief hinein in die Nächte der Revolutionstage soll er daraus literweise Cognac, Portwein, Champagner u. Ä. genossen haben; bisweilen musste er gar mit einem kleinen Damenspitzerl zu Bett gebracht werden … und dann verliert sich die Spur des sogenannten Tuberkelbechers. Aufgetaucht ist er erst wieder Mitte der 80er Jahre im Wiener Dorotheum, woselbst Frau Kommerzialrätin Paula Prachutta-Wegenstein Ihn um 7,30 Millionen Schilling (heutiger Wert circa 1.001.404,00 Euro) – bei einem Rufpreis von 6,90 Millionen! – günstigst ersteigern konnte; wohl nur, um Ihn dann knapp zwei Jahre später aus Ihrem Sterbebett heraus – nicht ohne Ihn vorher mit einem Schlückchen Veuve Clicquot befüllt zu haben! – an mich weiterzureichen. Ich aber ergriff sofort die Gelegenheit, um mittels eines kleinen Scherzes die Situation etwas zu entspannen: Und so stießen wir wohlgelaunt mit einem taufrischen Santé! Auf die Veuve Glykol! (es waren die späten 80er Jahre) an … und mit einem leisen Lächeln auf den Lippen entschlief Sie unverzüglich.
hörbeispiel 4: der tuberkelbecher
man müsst' noch einmal 20 sein
römer nr. 5
der jubelkelch
∅ Cuppa: 83mm∅ Fuß: 83mm. Höhe: 147mm.
Materialien: handgebleichtes Muranoglas
Verdelithfuß, Gold 20 kt.
Der Jubelkelch ist der Lieblingskelch meines zweitliebsten Sohnes Zingo, und drum darf er Ihn an dieser Stelle selbst, mit eigenen Worten – aber nur kursiv! – beschreiben:
halo ich binda ZINGO! sibm jare alt un ich weis ich schon wie das geht ich brauch nur abfal i drukkn und die buchdschdabm ligm schon schif und das is dan kuasyff aba voahea türft ia nicht vagessn makian, bittä! aba ich möchd germ gleih in medi assreß gähn: die röma is mein liblink röma weihl drauf 60 schdehd und meine di schensde zeid vonmeine lebm war auch sekzik wie ich solang grang wa und nich geimbfd dsa erst warn da dimasan eh schon ser lusdig und ich hab nicht müsssn ind schul gehn müssn deranthalb! am libstn dring ich draus gaugau und aktimehl fürrn dam mus ich auch ima inder frühschdügk dan wida gehsund und gans kuats schulgen und schon mumbs und wieda daheim lign im bet et hohm wida bapa sackt da habich mich gut erholn könen von dem ganzn schdress und hab imma dem jublkelch hergenoman und dsugeohrt und jeds is hochsolar lebm mein liblinkslit fürdaß ich mein lebm hergebmdert! schlafbladan hab ich dan auch noch dan auch gehabd von wodi mamma schon geglaubd had und eine angst das bildn schwere sich negrosn sich ausbildn … allez im allez hab ich 60 tage muladschag gehabd und wahr sicha schönste zeit im lebm was ich mich verihnern kahn!
an mer kung dem fatás: Es muss natürlich 'Hoch soll er leben!' heißen! Das hab ich ihm auch schon des Öfteren (mehr als 100x!) gesagt, respektive erklärt; aber Zingo trägt halt auf seinen schmalen Schultern leider immer noch seinen zum Teil eigenen Kopf und ist zur gleichen Zeit aber auch ein ziemlicher Trottel … dies ist auch der Grund, warum ich ihn ganz bewusst – das möchte ich ausdrücklich betonen! – ganz bewusst stets als meinen zweitliebsten Sohn angeprochen habe und sicherlich auch in der nächsten und wohl auch ferneren Zukunft anprechne verde.
hörbeispiel 5: der jubelkelch
hochsolar leben!
römer nr. 6
der fordernde
∅ Cuppa: 80mm∅ Fuß: 93mm. Höhe: 159mm.
Materialien: Inkalamu-Smaragd (Fuß)
Gold 22 kt., Platin (Cuppa)
Ja, der Fordernde mag nicht grade der wertvollste meiner Sammlung sein, mir aber der teuerste und ohne Zweifel das Allerschönste, das jemals von Menschenhand geschaffen wurde – oder fiel er in blauer Vorzeit von Gottes Frühstückstafel auf die Erde?
Die 5 Millimeter starke Cuppa aus 22 karätigem Tauerngold mit fein- ziselierten Intarsien (Weinlaub und Trauben) aus provencalischem Platin ruht selbstzufrieden und unzerstörbar (es sei denn, ich nähme aus Jux und Tollerei statt einem schönen Riesling just ein Schluckerl Königswasser zum Saiblingskaviar) auf dem perfekt proportionierten Fuß, fein gearbeitet aus einem Sambischen Inkalamu-Smaragd, der ungeschliffen gut und gern 11.000 kt. (≈ 2,27 kg) wog.
Die Leichtgängigkeit und den vollen Klang verdankt die Spieluhr den 21 darin verarbeiteten Rubinen, in Betrieb genommen (z.B. durch trinken) fordert sie unüberhörbar dazu auf, stante pede noch afla schalwein (eine der vielen genialen Wortspielereien meines Lieblingssohnes Bingo) zu trinken. Fordernd allemal – für Leber wie Trinkarm gleichermaßen: der Göttliche wiegt gute fünf Kilo!
hörbeispiel 6: der fordernde
jezd ringman och afla schalwein
© Bingoabschließende bemerkungen
und gemütlicher ausklang
Meinen ersten Römer mit Musik fand ich zu Ostern 1968, versteckt im Laub zu Füßen des Hibiskus'.
Meine Sammlung ist seither auf 2397 voll funktionstüchtige Kelche angewachsen, hinzu kommen noch 1492 mit defekten Spielwerken, kaputten Cuppae und/oder diversen anderen Mängeln, die das Trinkvergnügen mindern. 'Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum', schreibt Friedrich Nietzsche in der 'Götzen-Dämmerung' – das meinige aber wäre ohne Römer mit Musik nicht nur ein Irrtum, sondern auch ein Missverständnis … und durchtränkt vom Gefühl der Sinnlosigkeit!
Zum oben angekündigten gemütlichen Ausklang interpretieren nun die sechs Exponate die gradationes op.11, ein eigens für diese Besetzung von Professor DI Veit Lienar komponiertes Gustostückerl.
Mir bleibt nur noch, Ihnen ganz herzlich für Ihr Interesse zu danken und viel Vergnügen mit diesem die dritte Wiener Schule erfrischenden Werk zu wünschen:
römerphilharmonie erdberg
gradationes op.11
ganz hinten: Generalmusikdirektor Professor DI Veit Lienar
hinten v.l.n.r.: Kaiserbecher, Wanderpokal, Guter Hirte
vorne v.l.n.r.: Tuberkelbecher, Jubelkelch, Fordernder